Halle zur Zeit der DDR

Aus Stadtgeschichte Halle
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Die druckbare Version wird nicht mehr unterstützt und kann Darstellungsfehler aufweisen. Bitte aktualisiere deine Browser-Lesezeichen und verwende stattdessen die Standard-Druckfunktion des Browsers.

Entkirchlichung - 40 Jahre Sozialismus in Halle

Inhalt: Entkirchlichung Aufklärung Entwicklung nach Gründung der DDR Entwicklung in 4 Phasen 1 Phase - Liquidierungsphase bis 1953 Konfessionslosigkeit in der Zelt der Wiedervereinigung Deutschlands


Es ist allgemein bekannt, dass Halle eine der atheistischsten Städte der Welt ist. Doch die Frage, wie es dazu gekommen ist, und welche Einflussfaktoren dazu beigetragen haben, wird kaum beleuchtet. In dem folgenden Aufsatz, soll es darum gehen, in einem kurzen historischen Abriss darzustellen, welche Faktoren diese Entwicklung maßgeblich beeinflusst haben. Dabei wird die historische Entwicklung in Ostdeutschland besonders untersucht. Daneben wird auch die spezielle Situation in Halle analysiert werden. Am Ende wird versucht, darzulegen, welche Umstände in Halle besonders begünstigende auf den Prozess der Entkirchlichung eingewirkt haben. Außerdem werden wir der Frage nachgehen, ob Halle in dieser Entwicklung eine singuläre Stellung inne hat oder ob es sich eher um besonders begünstigende Prozesse in einer für ganz Westeuropa eher typischen Entwicklung handelt.

Entkirchlichung

Wenn man der Frage nachgeht, warum Halle zu den atheistischsten Regionen weltweit zählt, stellt sich die Frage, welche Faktoren eine solche Entwicklung beeinflusst haben können. Wissenschaftler sind sich darin einig, dass bei einer solchen Entwicklung immer langfristige und vielschichtige Prozesse eine Rolle spielen, die sich über viele Jahrzehnte oder wahrscheinlich auch Jahrhunderte vorbereitet haben. Eiffler nennt folgende historische Prozesse:

• Zwangsmissionierung des 5. Jahrhunderts • Missstände in der Kirche (Ämterkauf, Verweltlichung etc.) • Aufklärung – Kirche gibt ihre Rolle auf • Identitätsverlust in Folge der Industrialisierung • Krisen – starke Verunsicherung • Kommunistische Ideologie • Krise nationaler Identität infolge der Katastrophe des 2. Weltkrieges(dadurch werden die Menschen besonders schutzlos) • atheistisches Weltbild

Zwangsmissionierung und Missstände in der Kirche

Die Wertung historischer Begebenheiten bedarf großer Sensibilität. Voraussetzung ist ein umfassendes Wissen, das umso wichtiger ist, da eine allgemein gegen Christentum ausgerichtete Geschichtsforschung uns oft ein überwiegend negatives Bild bei Themen wie Mission und Rolle der Kirche zeichnet. Ich plädiere daher dafür, das Mittelalter in der vorliegenden Betrachtung auszulassen. Für mich persönlich sind die Zeugnisse einer tief verwurzelten Volksfrömmigkeit, denen wir in der Geschichte begegnen, zu stark, als dass wir uns hier als Richter aufspielen könnten, die pauschal entscheiden, was davon echt und was nur äußerer Schein war. Argumente müssen hier jeweils im Einzelfall anhand aussagekräftiger Quellen untersucht werden. Beginnen wir daher mit der Analyse der deutlicher hervortretenden Fakten:

Aufklärung „Semler (Theologe in Halle) war derjenige, der der Bibelkritik das Tor zur Kirche öffnete und die historisch-kritische Methode erfand. Bibelkritik war eigentlich nichts Neues. Immer in der Geschichte hatten sich Menschen oder Philosophen abfällig über die Schrift geäußert, Widersprüche aufgestöbert, die Wunder in Frage gestellt, die Auferstehung bezweifelt etc“ .. Neu ist jetzt allerdings, dass die Kritik aus der Kirche selbst kommt. Und es ist nicht irgendeine Kritik und schon gar nicht Selbstkritik, sondern es ist die Kritik am Wort Gottes. Die Vernunft wird auf den Thron gehoben – sie wird zur Richtschnur auch bei der Frage nach der Zuverlässigkeit der Heiligen Schrift. Bibelstellen, die der Vernunft widersprachen werden als unbrauchbar aussortiert. „Die menschliche Vernunft sitzt zu Gericht über die Bibel und bestimmt, was als Wort Gottes gelten darf und was nicht.“ Dabei wird selbst bei der Entstehung und Erklärung der Bibel von rein rationalen Erklärungen ausgegangen und von Wissenschaftlern meist geleugnet, dass Gott jemals in irgendeiner Form übernatürlich in die Geschichte (incl. die biblische) eingegriffen hätte. Von Halle aus beginnt der Siegeszug der historisch-kritischen Methode. Sie wird zum Exportschlager, der bis heute weltweites Interesse findet. Dahinter steckt die alte Haltung der Vergöttlichung der eigenen Vernunft . „Luther dagegen hatte noch gelehrt, dass die Vernunft, genauso unter der Macht der Sünde steht, wie der ganze Mensch.“ Auf diese Weise hat die Aufklärung nachhaltig die Geschichte der Kirche geprägt und sie tut das bis heute Wer sich als Theologe der historisch-kritischen Bibelforschung verschließt, „hat in Deutschland auch heute noch keine Chance wissenschaftliches Gehör zu finden. Alle jungen Theologiestudenten, die zukünftigen Pfarrer unseres Landes, müssen lernen, wie man wissenschaftlich-vernünftig das Wort Gottes auseinander nimmt“ . Sie verlieren damit die Vollmacht in ihren Predigten und die Kraft, mit der uns die Bibel als Gottes Wort begegnet.

Identitätsverlust in Folge der Industrialisierung Schon seit der Zeit der Aufklärung (und noch bis 1945) „drückt sich die Säkularisierung in Deutschland „weniger in Konfessionslosigkeit als in einer zunehmenden Lockerung der Bindung der Menschen an die Kirche und einer zunehmenden Irrelevanz des kirchlichen Lebens (und der kirchlichen Lehren) für den Alltag der Menschen aus.“ Franz Höllinger spricht in diesem Zusammenhang von einer zunehmenden „Anstaltsreligiosität “: „Die Menschen gehören formal zur Kirche, greifen aber nur im Bedarfsfall auf die kirchlichen Angebote zurück. Sie sind nicht mehr in der kirchlichen Gemeinschaft integriert und lehren hinsichtlich Ehe und Sexualität sowie in anderen lebensweltlichen Bereichen ethische Normen und Erwartungen ab. Für ihr alltägliches Leben hat Kirche nur eine sehr geringe Relevanz.“ Diese „schwindende Teilnahme an kirchlichen Vollzügen“ wird auch deutlich, wenn man Statistiken von Gottesdienstbesuchen Anfang des 20. Jahrhunderts betrachtet. Damals gab es in Ev. Kirchengemeinden, etwa in der Johannesgemeinde im Süden von Halle noch ca. 30000 Kirchenmitglieder und sonntags mehrere Gottesdienste. Gemessen an dieser Zahl war allerdings der Prozentsatz der Kirchenbesucher damals sogar geringer als heute. Es gab es mehrere Aspekte, die die beschriebene Entwicklung begünstigten. Zum einen wird die Rücknahme der staatlich-kirchlich organisierten Kirchenzucht und einer Lockerung der Beichte im 19. Jahrhundert angeführt. Kirchliche Angebote werden nur im Bedarffall wahrgenommen. Zum anderen brachte die Industrialisierung für unsere Städte ein großes Bevölkerungswachstum mit sich. Eiffler schreibt dazu: „An Stärke gewann der Prozess der Säkularisierung in Gebieten mit großem Bevölkerungswachstum und schneller Industrialisierung.“ Der Gottesdienst- und Abendmahlsbesuch ist in den industriellen Ballungsräumen deutlich zurückgegangen. Ein weiterer Aspekt betrifft einen mit der Industrialisierung einhergehenden gesellschaftlichen Umbruch. Es wird nun möglich, „den Sonntag auch für weltliche Angelegenheiten zu nutzen, im Interesse neuer Freizeitgestaltung oder auch für kulturelle Bedürfnisse“ und offenbar werden diese teil auch mit Gottesdiensten konkurrierenden Angebote gern angenommen.

Krisen – starke Verunsicherung Zu den oben genannten Aspekten, die eine Entkirchlichung vorantrieben, kommt das Trauma des Nationalsozialismus, das in unserer Nation bis heute ein tiefes Defizit in der eigenen nationalen wie auch persönlichen Identität hinterlassen hat. Hier Artikel zu verurteilten SS-Anhängern einfügen. Für die Entwicklung in den folgenden Jahrzehnten wird auch die unterlassene Bewältigung der nationalsozialistischen Zeit einen Beitrag leisten.

Krisenzeiten bedingen allgemein ein Auf und Ab von Kirchenmitgliedern. Insgesamt kam es aber durch die Wirren des 1. und 2. Weltkrieges zu großen Austrittswellen. Immerhin betrug der Anteil der „evangelischen Kirchenmitglieder an der Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg noch „81 % in der so¬wjetischen Besatzungszone und 92 % in den alliierten Besat¬zungszonen“

Entwicklung nach Gründung der DDR Internationale Wissenschaftler, die sich mit dem Phänomen der Entkirchlichung/Säkularisierung etc in Ostdeutschland in der Zeit von 1945 bis 1989 auf dem Gebiet der ehemaligen DDR beschäftigen, bezeichnen die Entwicklung, die sich hier in den letzten 6 Jahrzehnten abgespielt hat mit Worten wie „Su¬pergau von Kirche" . Gemeint ist der Anstieg der Konfessionslosigkeit von 7 % auf nahezu 70 % innerhalb von 40 Jahren. Wenn Westeuropa insgesamt als „kirchliches Katastrophengebiet" bezeichnet wird, dann liegt das „Epi¬zentrum", in Ostdeutschland, womöglich in Halle. Die Dramatik dieser Entwicklung wird vor allem deutlich, wenn man einen Blick auf die Taufzahlen in den folgenden Jahren betrachtet: 1950 lagen sie noch bei 77 % aller Neugeborenen. Fünfzehn Jahre später, 1965 wird die Zahl der Neugeborenen bei 30 % liegen. Während 1949 noch 81 % der Bevölkerung (rd. 14,8 Mio.) Mit¬glieder ev. Kirche und 11 % (rd. 2,7 Mio.) Mitglieder kath. Kirche waren, wird es vierzig Jahre später, 1989 in Ostdeutschland noch 25 % ev. und 4 % kath. Christen geben. Diese Entwicklung wird in den Jahren nach 1949 in vier Stufen ablaufen die im Folgenden beschrieben werden und eng mit der Kirchenpolitik der SED verknüpft sind. (Fortsetzung folgt demnächst)